Information | Krankheit / Mögliche Ursachen

Mögliche Ursachen

und Hintergründe

Wie bei allen Suchtkrankheiten sind auch bei der Arbeitssucht die Ursachen und Hintergründe für die Entstehung vielfältig. Auch hier steht hinter der Sucht die Sehnsucht: nach Anerkennung und Liebe. Arbeitssucht wurzelt oft in Schlüsselerlebnissen in der Kindheit.


Flucht vor persönlichen Problemen

Aus Unsicherheitsgefühlen, Versagensangst, mangelndem Selbstwertgefühl, der Angst «überflüssig» zu sein, innerer Leere, um Konflikte zu verdrängen oder ihnen auszuweichen, aus Wut ... etc. stürzt der Arbeitssüchtige sich in die Arbeit. Die Arbeit wird dann auch als Ausflucht gebraucht, um sich nicht mit Problemen auseinandersetzen zu müssen oder z.B. die Familie(n-Intimität) zu meiden.

Diese Verdrängung wird meist nicht bewusst erlebt. Es entsteht eine «Angst vor der Angst», ein Teufelskreis, der immer mehr Lebensenergie verbraucht. Man versucht diese Gefühle mit Arbeit zu dämpfen und zu betäuben, versteckt sich in der passiven Unterwerfung unter die Anforderungen der Arbeitsgesellschaft.


Das kann auch eine Form von Selbstbestrafung sein: Eigene Wünsche und Bedürfnisse, Genüsse werden verwehrt und versucht, diese durch Arbeit zu kompensieren.


Belohnung für Leistung

Kinder spüren die hohen Anforderungen und den Erwartungsdruck der Eltern (z.B. «das Kind soll es einmal besser haben», «es soll die Ehe retten», «dem Leben Sinn geben», «Freude machen», «artig sein» etc.) Es entdeckt, dass es Zuwendung erhält, wenn es etwas leistet. Wird es nicht um seiner selbst willen geliebt und bedingungslos liebevoll angenommen (was für die Entwicklung eines autonomen Selbstwerts wichtig wäre), versucht es, diese Liebe auf anderem Wege zu bekommen, z.B. durch Leistung.


Aufmerksamkeit, Zuwendung, Anerkennung und andere Belohnungen gibt es für aussergewöhnliche Leistungen und Anpassung. In der Familie wird Arbeit zum Ersatz für Gefühle.


Verstärkt kann dies auch durch das Gefühl, nicht wichtig genommen zu werden, überhaupt nicht erwünscht zu sein, durch wirtschaftliche Notlagen oder durch (Ehe-)konflikte. Das Kind wird oft weggeschickt, weil die Bezugspersonen überarbeitet sind, keine Zeit haben und kein Raum für Liebe und Zuneigung besteht.


Dieses ungestillte Grundbedürfnis nach bedingungsloser Liebe und der Mangel an Lebendigkeit kann im Erwachsenenalter die Neigung zur Arbeitssucht begünstigen.

Die Arbeitsleistung kann der unbewusste Versuch sein, es den Eltern immer noch recht zu machen und ihre Anerkennung zu erhalten. Viele Arbeitssüchtige leiden unter Selbstzweifeln, unbewussten Ängsten und der Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe.


Identifikation mit Vorbildern

Viele Arbeitssüchtige haben als Kind den Leistungs-Massstab von Vorbildern – z.B. ihrer Eltern – verinnerlicht, imitieren sie und identifizieren sich mit einem Elternteil, das besonders tüchtig ist und möchten auch so «erfolgreich» werden. Diese Kinder richten sich darauf aus, alles perfekt zu machen, um Bewunderung zu erhalten, was Versagensangst und Rollenunsicherheit verstärkt.


Leistungsorientierte Gesellschaft / Arbeitsgesellschaft

Arbeit wird in unserer Gesellschaft idealisiert, zum zentralen Lebensmittelpunkt hochstilisiert und zum Selbstverständnis der ganzen Gesellschaft. Wir haben diese Prinzipien verinnerlicht bekommen, sie sind uns zur «zweiten Natur» geworden.

Zu Hintergrund und Geschichte von «Arbeit»


Schon Kindern wird permanente Leistungsorientierung als Überlebensstrategie vorgelebt, ebenso wie die konsequente Missachtung der eigenen Bedürfnisse. Sie wird als Mittel der persönlichen Erfüllung und Befriedigung allgemein akzeptiert. Arbeitssüchtige sehen ihre Freizeit meist nur als gegensätzliche Seite ihrer Arbeit.


Arbeit ist immer verfügbar, wird belohnt und erweckt als Suchtmittel lange Zeit keinen Argwohn. Die selbstbestimmte Arbeit ist anfälliger für Arbeitssucht als fremdbestimmte.
In unserer (zunehmend amerikanisierten) Leistungs-Gesellschaft gelten Fleiss, Tüchtigkeit, Anpassung und die Bereitschaft, persönliche Belange zurückzustellen sowie eine leidenschaftliche Einstellung zur Arbeit als höchste Tugenden, werden belohnt und führen zu gesellschaftlicher Anerkennung und beruflichem Erfolg. Die Schattenseiten sind Leistungsdruck und Erwartungsangst. Nach jedem Erfolg erhöht der Arbeitssüchtige den Schweregrad, um bei der nächsten Aufgabe wieder erfolgreiche Befriedigung erfahren zu können.


Diese Fixierung der Erwerbsarbeit und ihre Überhöhung zum Lebenssinn bietet die Grundlage für Probleme mit der Arbeit. Denn der Arbeitsplatz ist in den seltensten Fällen der geeignete Platz für die persönliche Entfaltung und Selbstverwirklichung.


Verlust von Lebenssinn und -vision, Entspiritualisierung

Die Frage nach dem Sinn des Lebens, der eigenen Ziele und Visionen sind wichtig für ein erfülltes Leben. Eine tiefe Ursache von Sucht ist Angst. Nun stellt sich die Frage, woher soviel Unsicherheit und Angst gerade in unserer «modernen» Gesellschaft kommt, in der uns alle Möglichkeiten offen stehen. Gerade die Durchsetzung des Machbarkeitswahns und die unendlichen Wahlmöglichkeiten führten zu Orientierungslosigkeit und zunehmender Entfremdung zur Mitwelt, Natur und zur inneren, eigenen Natur.

We live in a culture that demands dysfunction.

The purpose of dysfunction is to keep us …

away from fully experiencing the pain of the isolation, dishonesty, illusion and self-centeredness

of living in the world we have created.

Schaef, 1998


Übersetzung von Holger Heide:

Sucht ist in unserer Gesellschaft fast unverzichtbar,

weil sie uns hilft, den Schmerz über die Welt der Isolation,

der Unehrlichkeit, der Illusion und der Selbstbezogenheit

zu dämpfen, die wir geschaffen haben und die wir

in unserem täglichen Leben beständig reproduzieren.

 


Hormon-Kick

Unter hoher Anspannung produziert unser Organismus Lust spendende Hormone, wie zum Beispiel Adrenaline, Dopamine, Endorphine – einen euphorisierenden Cocktail von Botenstoffen. Stress kann also auch ein Hochgefühl auslösen, das man immer wieder erleben möchte. Endorphine haben dabei auch eine schmerzstillende Wirkung.

...

 

 

 

Aus Angst vor den eigenen Gefühlen werden die natürlichen Trauer-Reaktionen so lange bagatellisiert und unter-drückt, bis Betroffene durch diese Schonungs-losigkeit erschöpft und ausgebrannt sind.

Schmidbauer

 

 

 

Die Eltern werden zum Trauma für ihre Kinder

Schmidbauer, 1998

 

 

Oft lässt die Angst der Erwachsenen, so mit sorgsam verdrängten eigenen Gefühlen konfrontiert zu werden, nur noch Abwehr zu.

So erfährt das Kind nicht die Geborgenheit, die es braucht, um sich als Teil eines grossen Ganzen zu spüren, um über Empathie Spiritualität zu erfahren: um leben zu lernen.
Die Kinder entwickeln «Überlebens-Strategien», sie lernen «Rollen». Dass es Rollen sind, heisst, dass sie aufhören, sich an den eigenen Bedürfnissen zu orientieren. Durch ständige Wiederholung und die zugrunde liegende Angst «aus der Rolle zu fallen», werden die Rollen zu Mustern. Da die eigenen Bedürfnisse nicht mehr erkannt werden, geht es dabei letztlich immer um Leistung.

Holger Heide

aus dem Artikel:

Arbeiten um

nicht zu fühlen

 

 

 

 

 

Die erwachsene

und damit überwiegend im Arbeitsprozess stehende Bevölkerung ist in grossem Umfang von psychischen Störungen aller Art betroffen.

Prof. Dr. med. dipl.-psych. Wulf Rössler / Psychiatrische Uni Zürich, Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie

 

 

Wir sind so krank wie unsere Geheimnisse.

 

 

BALANCE

STATT BURNOUT

Predigten von Thomas Härry, Mino Aarau (evangelisch reformiert) Juni und Juli 07

(mit Erwähnung der Crazy Workers)

«Das Tempo drosseln»

zum lesen (PDF)

zum hören (MP3 7,1 MB)

«Herausfinden, was wirklich zählt »

zum lesen  (PDF)

zum hören (MP3 6,3 MB)

 

 

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